In diesem Blog möchte ich auf 5 Fragen eingehen, die sich Eltern von bilingualen Kindern häufig stellen:
- Was beeinflusst die bilinguale Sprachentwicklung?
- Welche Vor- oder Nachteile gibt es?
- Wann sollten Kinder anfangen Sprachen zu lernen?
- Welche Sprachen sollten wir verwenden und wie?
- Mein Kind macht viele Fehler beim Sprechen.Wann müssen wir uns Sorgen machen?
1. Was beeinflusst die bilinguale Sprachentwicklung?
Externe Faktoren
- Ab wann das Kind eine/mehrere Sprache(n) lernt
- Wie häufig das Kind die Sprache(n) hört
- Welche Sprachen das Kind hört
- Welche Qualität der Sprachinput hat
- Der Status der Sprache (welche Bedeutung einer Sprache gegeben wird)
Um den Beginn des Sprachenlernen ging es ja schon im letzten Blog. Es macht natürlich einen Unterschied, ob ein Kind von Geburt an eine Sprache hört oder erst Jahr später eine Sprache erlernt.
Aber noch wichtiger ist, wie häufig ein Kind eine Sprache hört. In welchen Lebenslagen und in welchem Umfeld hört und gebraucht es eine Sprache? Eng damit verbunden ist die Frage nach der Qualität des Sprachinputs. Ich erinnere mich noch gut, als mein Vater versucht hat mit unseren Kindern Englisch zu sprechen. Irgendwann haben wir ihn dann gebeten doch bitte beim Deutschen zu bleiben 😊.
Der Status spielt auch eine wichtige Rolle. Ich habe während meiner Arbeit im Sozialpädiatrischen Zentrum Familien gehabt, die glaubten, es sei besser, ihre Heimatsprache aufzugeben. Sie wollten Deutsch sprechen, damit die Kinder besser auf den Kindergarten oder die Schule vorbereitet werden. Warum das nicht nötig ist und warum dies auch zu Schwierigkeiten führen kann, erläutere ich später. Es kann also sein, dass Menschen selbst den Status einer Sprache herabsetzen. Es ist aber auch möglich, dass die Gesellschaft, die Familiensprache von Menschen nicht wertschätzt.
Interne Faktoren
- Kognitive Fähigkeiten (z.B. Gedächtnisleistungen, Aufmerksamkeit)
- Sprachfähigkeit (das eigene Potential, Sprachen zu erlernen)
- Motivation
Kognitive Funktionen
Ein wichtiger Faktor, der berücksichtig werden muss, sind die kognitiven Funktionen. Das sind, grob gesagt, alle Vorgänge im Hirn, die wir brauchen, um zu denken, uns Wissen anzueignen und unsere Welt wahrzunehmen. Wenn ihr mehr darüber wissen wollt, dann lest euch folgenden Blog durch. Eine wichtige Funktion, die immer wieder genannt wird, ist das Kurzzeitgedächtnis. Um neue Wörter zu lernen, müssen wir diese im Kopf behalten und mit bekanntem Wissen verknüpfen. Z.B. wir lernen das spanische Wort „flor“. Wir müssen es im Gedächtnis behalten, bis wir es mit dem deutschen Wort „Blume“ verknüpft haben. Wir speichern uns die Wortform ab. Das Wort fängt mit /f/ an, hat nur eine Silbe. Wir verbinden Eigenschaften damit wie „sie ist rot, hat grüne Blätter.“ Haben diese Verknüpfungen stattgefunden, kann das neue Wort im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden.
Sprachbegabung
Unsere Sprachbegabung, wie wir es häufig nennen, ist sehr unterschiedlich. So gibt es Sprachtalente, wie meine Bekannte, die 6 Sprachen fließend spricht. Auch mein Mann wurde in England nur noch gefragt, aus welcher Ecke Englands er kommt. Ich hingegen bin meinen Akzent nie losgeworden. Selbst Kinder mit Sprachstörung haben mich direkt „ertappt“ und gefragt, aus welchem Land ich denn eigentlich komme.
Wie gut man Sprachen lernt, hängt von verschiedenen Fähigkeiten ab. Neben den Gedächtnisleistungen ist es z.B. auch wichtig, unterschiedliche Laute unterscheiden zu können. Auch das Erkennen von ähnlichen Grammatik-Strukturen ist wichtig. Wenn du dir mal Beispiele anschauen möchtest, wie Sprachtalent getestet wird, dann kannst du dir Aufgaben des Modern Language Aptitude Tests auf dieser Seite anschauen (auf Englisch).
Motivation
Tja, und Motivation, das ist meines Erachtens einer der wichtigsten Faktoren. Wie oft ich versucht habe meiner Tochter als Baby das Wort Ball beizubringen, weil ich dachte, es ist einfach, kurz und wir spielen häufig mit Bällen. Ich weiß nicht, wieviel hundert Mal ich es ihr gesagt habe… aber ein Wort wie Puppe war schnell da. Im Guardian ist vor einer Weile ein interessanter Artikel erschienen, der sich mit der Motivation beim Sprachenlernen beschäftigt und zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation unterscheidet. Ein intrinsischer Wunsch kann sein, dass ein Kind seine koreanischen Großeltern besser verstehen möchte. Ein extrinsischer Grund kann sein, dass ein junger Erwachsener gerne im Ausland studieren möchte, dafür aber die Sprache beherrschen muss. Wichtig zu bedenken ist, dass die Motivation schwankt und sich über die Zeit immer wieder verändern kann.
2. Welche Vor- oder Nachteile gibt es, wenn man mehrere Sprachen spricht?
Diese Frage werden viele von euch sicherlich schnell mit ja beantworten. So, was sind denn nun genau die Vorteile? Drei Bereiche sind hier wichtig zu erwähnen:
Sozial-gesellschaftliche Vorteile
Viele Sprachen zu sprechen erlaubt es uns, mit viel mehr Menschen kommunizieren zu können, ohne dabei auf einen Übersetzer angewiesen zu sein. So können wir auch mehr Kontakte aufbauen und über verschiedene Kulturen lernen. Es entstehen weniger Vorurteile (siehe u.a. Castro et al., 2022). Ich fand es z.B. toll, dass ich in Englisch mit Menschen aus der ganzen Welt kommunizieren kann. So habe ich gelernt, dass es die Biene Maja auch im Polnischen gibt oder welche spanischen Bräuche zu Silvester und Neujahr üblich sind. Das Essen von 12 Trauben zu Mitternacht war mir aber dann doch zu heikel. Mit dem Wissen, das man sich so aneignet, kann man auch differenzierter über die Welt nachdenken und verschiedene Sichtweisen einnehmen.
Linguistische Vorteile
Insbesondere, wenn sich Sprachen ähneln, kann Sprachwissen von einer Sprache auf die andere übertragen werden. Dies gilt insbesondere beim Lernen neuer Wörter (siehe z.B. Avila-Varela & Sebastian-Galles, 2021).
Kognitive Vorteile
Eine große Frage, mit der sich auch die Wissenschaft intensiv beschäftigt, ist die Frage nach den kognitiven Vorteilen. Also entwickeln sich Denkprozesse besser, wenn man mehr Sprachen spricht? Die Datenlage ist nicht eindeutig (siehe Giovannoli und Kollegen 2020). Es ist kompliziert, Studien zu entwickeln, weil sich mehrsprachige Probanden sehr unterscheiden.
Faktoren sind z.B.:
- wie lange eine Sprache schon gelernt wurde
- welche Sprachen gesprochen werden
- welche Tests durchgeführt werden
- wie alt die Probanden waren.
Generell wird diskutiert, dass mehrsprachige Menschen einen Vorteil in den Bereichen der selektiven Aufmerksamkeit und kognitiven Flexibilität haben (z.B. Poutlin-Dubois et al., 2011). Das sich die Struktur und Funktion des Gehirns zwischen mono- und bilingualen Probanden unterschieden, wurde z.B. von Grundy und Kollegen in ihrer Studie von 2020 nachgewiesen.
Also ich finde, dass es definitiv von Vorteil ist, mehrere Sprachen zu sprechen. Ich wünschte, ich hätte die Superpower alle Sprachen der Welt zu verstehen. Das heißt allerdings nicht, dass man auf Teufel komm raus Kinder mit mehreren Sprachen bombardieren sollte, wenn es keinen Grund dafür gibt. Auch hilft es nicht, die Kinder vor chinesische Lernprogramme zu setzen, aber dazu später noch mehr…
Nachteile
Als erstes muss hier erwähnt werden, dass Mehrsprachigkeit keine Sprachstörungen verursacht! Es gibt überhaupt keine Hinweise darauf, dass sich das Sprechen verschiedener Sprachen negativ auf die Sprachentwicklung auswirkt. Auch mehrsprachige Kinder erreichen die bekannten Meilensteine. Es kann zu Verzögerungen kommen. Weil die Kinder nicht genauso viel Input von einer Sprache bekommen wie ihre monolingualen Gefährten und auch weniger jede Sprache selbst sprechen, dauert es manchmal länger, bis z.B. eine grammatische Regel erworben ist. Es handelt sich aber hier nicht um ein Defizit!
Ein zu erwähnender Nachteil ist, dass multilinguale Kinder häufiger fehldiagnostiziert werden. Sprachen können sich überlappen. Es kommt zu Transfereffekten (also dass sich Regeln von einer Sprache auf die andere übertragen). Daher erscheinen Sprachäußerungen häufiger als fehlerhaft. Zum Beispiel mischen meine Kinder munter die Plural-s Regel des Englischen mit Plural-Regeln des Deutschen, so dass es z.B. zu eine Mutter- viele Mütters kommt. Auch ist ihre Wortstellung im Deutschen häufig angelehnt an die des Englischen (z.B. Ich bin froh, weil wir gehen in den Zoo).
Zudem werden meist nicht alle Sprachen untersucht und die Ergebnisse mit monolingualen Kindern verglichen. Wie irreführend dies ist, zeigt sich häufig an der Untersuchung des Wortschatzes. Manche Wörter werden in der einen Sprache, manche in der anderen abgespeichert. Es gibt aber auch Wörter, die in beiden vorhanden sind. Testet man nur eine Sprache, so erscheint der Wortschatz schnell reduziert (Hoff et al., 2012). Wichtig ist also das gesamte Vokabular zu erheben, um eine repräsentative Einschätzung der Wortschatz-Leistungen zu erhalten (siehe z.B. Thordardottir, 2011). Im Umkehrschluss werden Sprachstörungen in mehrsprachigen Kindern häufiger übersehen, weil man glaubt, das Kind habe nur noch nicht ausreichend die Umgebungssprache erlernt. Therapeuten wissen häufig nicht, welche grammatischen Regeln die jeweiligen Sprachen haben. Daher ist es sinnvoll, wenn es einen engen Austausch zwischen Eltern und Logopäde gibt.
3. Wann sollten Kinder anfangen Sprachen zu lernen?
Immer wieder hört man das Argument „je früher, desto besser“. Dies muss allerdings ein bisschen differenzierter gesehen werden. Ja, wenn Kinder schon früh eine Sprache lernen, haben sie mehr Zeit, diese Sprache auch zu erlernen. Und ja, manche Bereiche der Sprachentwicklung entwickeln sich früh und ein früher Kontakt zur Sprache ist wichtig. Ein Bereich ist z.B. die Sprachwahrnehmung. Sie beginnt bereits im Mutterleib und Kinder fangen schon früh an, das Gehörte aufzuschnappen und ihre Wahrnehmung an die Umgebungssprachen anzupassen. Schon während der zweiten Lallphase, ab ca. 6 Monaten, beginnen die Kinder sich auf die Laute zu fokussieren, die sie hören. Gleichzeitig nimmt ihre Fähigkeit, Laute anderer Sprachen zu differenzieren, ab (sieh u.a. Fox-Boyer & Schäfer, 2015).
Aber andere Bereiche der Sprachentwicklung entwickeln sich schneller, wenn die Kinder etwas älter sind. Dies gilt zum Beispiel beim Erwerb von grammatischen Strukturen und dem Wortschatz. Ältere Kinder können neue Wörter besser in Kontext setzen. Man kann ihnen Definitionen anbieten und hierarchische Bezüge beibringen (z.B. „das ist ein Motorrad. Es gehört zur Gruppe der Fahrzeuge.“).
Wichtiger als der Beginn des Sprachelernens ist die Zeit, die Kinder eine Sprache hören. Auch wenn ein Baby bereits einmal die Woche die bulgarische Oma sieht. Das wird nicht ausreichen, um die Sprache zu etablieren. Zieht die Oma aber 3 Jahre später in die gleiche Stadt und betreut das Kind täglich für 4 Stunden, so bekommt das Kind ausreichend Sprachinput und kann die Sprache erlernen. Die Sprachqualität ist auch von Bedeutung. Kinder brauchen eine sprachreiche Umgebung, die nur geschaffen werden kann, wenn die Gesprächspartner die Sprache gut beherrschen und sich damit „wohlfühlen“.
Zudem brauchen Kinder Menschen als Gesprächspartner. Wir sind soziale Wesen, die auf ihr Gegenüber reagieren. Patricia Kuhl hat schon vor vielen Jahren einen spannenden TED-Talk gegeben. Dort erläutert sie, wie sich Sprache nur über die Interaktion voll entwickeln kann. Also braucht ihr kein teures Geld ausgeben für Videos, online-Programme oder ähnliches, in der Hoffnung, dass eure Kinder so eine Sprache erlernen. Auch der einmal wöchentliche Spanisch-Unterricht mag zwar Spaß machen und Neugier an einer anderen Sprache wecken, aber einen durchschlagenden Erfolg dürft ihr euch dadurch nicht erhoffen.
4. Welche Sprachen sollten wir verwenden und wie?
Wir sprachen ja eben darüber, wie wichtig die Quantität und Qualität des Sprachinputs sind, damit Kinder Sprachen erlernen können. Das geht am besten, wenn man seine Heimatsprache(n) spricht. Die eigene Heimatsprache zu benutzen hat eine Reihe von Vorteilen:
- Die Heimatsprache ist in der Regel die Sprache, die einem am Herzen liegt, in der wir uns am besten mitteilen können, am besten Wissen aneignen und weitergeben können. Mit ihr verbindet sich auch unser kulturelles Erbe. Wichtige Feiertage, religiöse Feste und Bräuche werden darüber vermittelt.
- Sie erlaubt es den Eltern tiefe Eltern-Kind Beziehungen aufzubauen und bedeutsame Interaktion zu haben.
- Das Benutzen der Heimatsprache verhindert auch, dass die Kinder diese Sprache mehr und mehr verlieren. Wenn sie keinen Kontakt mehr haben und keine Gelegenheiten, sie zu sprechen, wird die Sprachkompetenz abnehmen. Damit sinken auch die Motivation und der Status der Sprache.
Die Zeit, die eure Kinder die jeweiligen Sprachen hört, wird immer wieder variieren. Das ist ok, wichtig ist nur, dass keine der Sprachen zu sehr vernachlässigt wird. Als Daumenregel sagt man, sollte jede Sprache gleich viel Anteil haben. Das heißt bei zwei Sprachen sollte das Kind jeweils zu 50% eine Sprache hören. Auch das ist nicht genau so einzuhalten, aber es gibt eine grobe Richtlinie.
Sollen wir die Sprachen strickt trennen?
Der Glaube, dass zwischen den Sprachen strikt getrennt werden müsse, um den Kindern die besten Sprachvorbilder zu geben, hält sich hartnäckig. Aber schon 2011 haben Paradis und Kollegen betont, dass es kaum Evidenz dafür gibt, dass eine solche Trennung der optimale Weg sei, Kinder bilingual zu erziehen.
In manchen Familien mag eine solche Trennung Sinn machen. Ich habe zum Beispiel Freunde, da ist die Mutter aus Deutschland, der Vater aus Zypern und sie leben in England. In ihrer Familie macht eine Trennung Sinn und hilft dabei einen einigermaßen gleichmäßigen Input zu geben.
Aber eine strikte Trennung ist nicht nötig, damit eure Kinder die Sprachen erlernen. Eine Trennung garantiert auch nicht, dass eure Kinder alle Sprachen gleich gut beherrschen (denkt dabei an die internen und externen Faktoren, die das Sprachelernen beeinflussen).
Ihr habt Bedenken, dass euer Kind nicht ausreichend die Umgebungssprache hört? Dann überlegt euch, welche Aktivitäten es machen kann, um die Umgebungssprache mehr zu hören. Vielleicht einem Verein beitreten, eine Tanzgruppe besuchen, in einen Jugendverein gehen…
Und zu guter Letzt ist es auch nicht praktisch oder realistisch, dass man die Sprachen immer trennt. Wir erleben es viele Male am Tag, dass ein Wechsel der Sprachen die Kommunikation erleichtert. Letztens hatte ich ein Gespräch mit den Erziehern meines Sohnes. Beide sind fließend in Deutsch und Englisch. Als ich ihnen erzählte, dass wir zur schulischen Eingangsuntersuchung mussten, habe ich nicht lange nach Definitionen gesucht, sondern habe gesagt „Ragnar had to go to the schulische Eingangsuntersuchung“ und alle wussten, was gemeint ist. Dieses Beispiel bringt die nächste Frage auf den Tisch:
Sollte eine Person die Sprachen mischen?
Das so genannte Code Switching ist ganz normal und hat nichts mit schlechten Sprachkenntnissen zu tun. Im Gegenteil, es wird diskutiert, ob Menschen, die schnell zwischen den Sprachen wechseln können, bessere exekutive Funktionen haben. Wenn euch dieser Begriff nicht bekannt ist, könnt ihr hier mehr über die exekutiven Funktionen lernen. Auch wird argumentiert, dass man die Sprachen gut beherrschen muss, um diese Wechsel vornehmen zu können.
Transfer-Effekte, die weiter oben im Blog schon mal erwähnt wurden, können auch auftreten. Ragnar hat letzten die Wörter „ausbreiten“ und „spread out“ verwurstet zu „ausspreaden“.
Und schließlich eine Frage, die alle Eltern beschäftigt:
5. Mein Kind macht viele Fehler beim Sprechen. Müssen wir uns Sorgen machen?
Solltest du Folgendes beobachten, empfehle ich dir mit eurem Kinderarzt zu sprechen:
- Es werden Meilensteine nicht erreicht
- Es zeigen sich deutlich Probleme im Spracherwerb im Vergleich zu anderen Kindern, die auch mehrsprachig aufwachsen
- Es sind viele Aussprachefehler zu beobachten
- Die Sprachentwicklung scheint „festzustecken“, keine Veränderungen und Verbesserungen sind zu beobachten.
Multilinguale Kinder erreichen die gleichen Meilensteine wie ihre monolingualen Gefährten. Es ist ok, wenn sie diese mit etwas Verzögerung dort ankommen. Wenn aber Meilensteine nicht erreicht werden, sollte man mal genauer hingucken.
So sollten Kinder z.B. mit 18 Monaten rund 50 Wörter sprechen. Das können Wörter aus allen Sprachen sein. Dazu zählen auch Lautmalereien wie („wauwau“) oder Wortformen, die sich noch nicht wirklich wie das Zielwort anhören. Ragnar sagte z.B. zur Lampe „babe“. Sollte euer Kind deutlich weniger Wörter sprechen, kann das auf eine Sprachentwicklungsverzögerung oder -störung hinweisen.
Wichtig ist immer, die Leistungen mit anderen mehrsprachigen Kindern zu vergleichen. Sonst besteht die Gefahr, dass man zu schnell glaubt, das Kind sei auffällig.
Auch sollte darauf geachtet werden, ob Kinder von anderen verstanden werden. Wörter, die Vierjährige sprechen, sollten zu 75% verständlich sein (Hustad et al., 2021). Haben insbesondere Fremde Probleme euer Kind zu verstehen, kann das auf eine Aussprachestörung hinweisen.
Jedes Kind entwickelt sich individuell. Manchmal hat man das Gefühl, die Sprache explodiert, dann wiederum kann es eine gefühlte Ewigkeit dauern, bis Kinder neue Sprachkenntnisse erwerben. Meine beiden schlagen sich momentan mit dem Dativ und Akkusativ im Deutschen rum (z.B. „Ich sehe der Ball“). Wie oft ich es ihnen auch per korrektivem Feedback spiegele, die Fehlbildungen halten sich sehr hartnäckig.
Prinzipiell bin ich immer dafür, achtsam die Kinder zu beobachten. So kann man frühzeitig erkennen, wenn etwas nicht so gut läuft. Vertraut auf euer Bauchgefühl und sucht euch Hilfe. Redet mit eurem Kinderarzt und lasst es bei einer Logopädin abklären. Wenn die Fachleute feststellen, dass die Leistungen altersgerecht sind, dann braucht ihr euch keinen Kopf machen. Falls doch Grund zur Sorge besteht, kann man früh eingreifen und das Kind fördern.
Ein wichtiger Hinweis noch: sollte doch eine Sprachstörung vorliegen, ist dies kein Grund, die Familiensprache (oder eine der Sprachen, die ihr sprecht) aufzugeben. Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz, dass Kinder mit Sprachstörung nicht mehrere Sprachen lernen können. Die Entwicklung mag langsamer sein. Aber der Kontakt zu mehreren Sprachen behindert die Sprachentwicklung nicht.
Genau wie bei monolingualen Kindern mit Sprachstörung solltet ihr eine sprachreiche Umgebung schaffen. Verschiedene Wege sollten genutzt werden, um zu kommunizieren. Sehr gut eignet sich der Einsatz von visuellen Hilfen. Das können z.B. Gesten oder Bilder sein. Wenn ihr mehr Tipps haben möchtet, wie ihr euer Kind unterstützen könnt, schaut euch meine Videos auf Instagram an oder lest meine Blogeinträge zur Sprachförderung auf Sprachtherapie Online durch.
Das Thema Mehrsprachigkeit ist umfangreich. Ich hoffe, ich konnte die wichtigsten Fragen hier zusammentragen und diskutieren. Wie immer es auch läuft bei euch in der Familie, feiert eure Einzigkeit, euren Reichtum und eure Vielfalt.
Alle Liebe und Gute,
Blanca
Referenzen
Avila-Varela, D. S., & Sebastian-Galles, N. (2021). Study of labels phonological overlap across languages in bilingual toddlers. Poster presented at the 6th Lancaster International Conference on Infant and Early Child Development.
Castro, S., Bukowski, M., Lupiáñez, J., & Wodniecka, Z. (2022). Bilingualism is related to the expression of less stereotypes: The role of cognitive flexibility and motivation. DOI: 10.31234/osf.io/ebvzt
Fox-Boyer, A., & Schäfer, B. (2015). Die phonetisch-phonologische Entwicklung von Kleinkindern. In S. Sachse (Ed.), Handbuch Spracherwerb und Sprachentwicklungsstörungen – Kleinkindphase (pp. 39-62). München: Elsevier.
Giovannoli, J., Martella, D., Federico, F., Pirchio, S., & Casagrande, M. (2020). The Impact of Bilingualism on Executive Functions in Children and Adolescents: A Systematic Review Based on the PRISMA Method. Frontiers in Psychology, 11. doi:10.3389/fpsyg.2020.574789
Grundy, J. G., Anderson, J. A. E., & Bialystok, E. (2017). Neural correlates of cognitive processing in monolinguals and bilinguals. Annals of the New York Academy of Sciences, 1396(1), 183-201. doi:10.1111/nyas.13333
Hoff, E., Core, C., Place, S., Rumiche, R., Señor, M., & Parra, M. (2012). Dual language exposure and early bilingual development. Journal of Child Language, 39(1), 1-27.
Hofweber, J., Marinis, T., & Treffers-Daller, J. (2020). Experimentally Induced Language Modes and Regular Code-Switching Habits Boost Bilinguals‘ Executive Performance: Evidence From a Within-Subject Paradigm. Frontiers in Psychology, 11, 542326. doi:10.3389/fpsyg.2020.542326
International Expert Panel on Multilingual Children’s Speech(2012). Multilingual children with speech sound disorders: Position paper. Bathurst, NSW, Australia: Research Institute for Professional Practice, Learning and Education (RIPPLE), Charles Sturt University. Retrieved from http://www.csu.edu.au/research/multilingual-speech/position-paper
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