pile of chocolate bars

Exekutive Funktionen – Entwicklung: Wie Kinder lernen Schokolade zu widerstehen

In meinem letzten Post ging es um exekutive Funktionen, also die Fähigkeiten, die wir benötigen, um Probleme zu lösen, Aufgaben zu bewältigen und schlichtweg den Alltag zu meistern.

Beispiele aus dem täglichen Leben sind u.a. die Fähigkeit, geplante Aktivitäten zu ändern, weil sich die Situation geändert hat. Ihr wolltet eigentlich mit dem Fahrrad auf Arbeit, aber es stürmt, es ist Regen vorausgesagt. Ihr entscheidet euch für die Bahn, hört dann aber im Radio, dass Schienen durch heruntergefallene Äste blockiert sind. Ihr ruft beim Chef an und sagt, dass ihr heute Homeoffice macht. Die Meetings werden per Zoom organisiert, ihr zieht die schicke Hose aus, springt in die Jogginghose und macht euch einen Tee.

Bei all diesen Vorgängen benötigen wir die 3 Hauptkomponenten der exekutiven Funktionen:

  1. Arbeitsgedächtnis
  2. Selbstkontrolle
  3. Mentale Flexibilität

Wer ausführlichere Definitionen zu den Begriffen inkl. verschiedener Beispiele möchte, kann sich den Blog hier durchlesen.

In diesem Post möchte ich zusammenfassen, welche exekutiven Funktionen sich wann entwickeln können. Mir hilft es immer wieder im Alltag, mir vor Augen zu führen, was meine Kleinen denn schon können (sollten), was aber auch nicht. Denn mir fällt häufig auf, dass wir von ihnen eine „Disziplin“ abverlangen, die wir in ihrem Alter noch gar nicht erwarten können.

Wenn also euer Kind mal wieder quengelt, unbedingt als erster ein Eis zu kriegen, es vor lauter Frust sein Spielzeug durch den Raum wirft oder nicht ansprechbar zu sein scheint, wenn ihr ihm im Supermarkt den Auftrag gebt, eine Tüte Milch zu besorgen, dann erinnert euch daran: es ist verdammt schwer, Bedürfnisse und Gefühle zu regulieren, Aufmerksamkeit auf etwas zu fokussieren und Arbeitsaufträgen zu folgen.

Und ich habe bewusst oben geschrieben, „.. welche exekutiven Funktionen sich wann entwickeln können.“, denn es hängt von den Erfahrungen, dem Umfeld, den Bezugspersonen ab, wie gut sich diese Funktionen entwickeln oder auch nicht. Wir haben daher einen wichtigen Beitrag zu leisten, dass unsere Kinder diese Fertigkeiten erwerben. Wenn ihr wissen wollt, wie ihr euer Kind dabei unterstützen könnt, dann lest euch diesen Blog durch. Hier geht es jetzt erst einmal um die Entwicklung der exekutiven Funktionen, also was wir grob in welchem Alter erwarten können.  Eine Tabelle vom Center on the Developing Child at Harvard University (2011) gibt einen guten Überblick. Wer sich das Original in Englisch anschauen möchte, der findet sie hier. Im Folgenden fasse ich die Tabellen in Deutsch zusammen und gebe noch passende Beispiele dazu:

ArbeitsgedächtnisBeispiele
Erwachsene
Können sich verschiedene Aufgaben merken.Um einen Ausweis zu beantragen, braucht man einen Termin beim Anwohnermeldeamt, muss einen Nachweis erbringen, wo man z.Z. lebt, muss zum Amt hinfahren (mit Bus, Bahn etc.) und zu einer bestimmten Zeit dort sein, damit der Termin nicht verfällt.
Können sich Strategien merken, die je nach Situation unterschiedlich sein können.In unterschiedlichen Situationen begrüßt man sich unterschiedlich, Freunde begrüße ich anders als Fremde oder Vorgesetzte, kulturelle Unterschiede müssen beachtet werden (gibt man sich die Hand, verbeugt man sich etc.).
5-16 Jahre
Es entwickelt sich die Fähigkeit an verschiedenen Orten zu suchen, sich zu merken, wo man etwas gefunden hat und dann andere Orte zu untersuchen.Überlegen, an welchen Orten Ostereier versteckt sein könnten, sich beim Ostereier suchen merken, an welchen Stellen man schon geguckt hat und die restlichen abklappern.
4-5 Jahre
Ein Kind versteht, dass das Aussehen nicht unbedingt die Realität widerspiegelt.Eine Torte sieht aus wie ein Fußball, die Tomatensoße sieht aus wie Blut.
3 Jahre
Ein Kind kann sich zwei Regeln merken und sich an diese Regeln halten.Die roten Steine kommen in den Sack, die grünen in den Eimer.
9-10 Monate
Ein Kind kann simple Mittel zum Zweck Aufgaben ausführen.Kann seinen Teddy aus einer Kiste nehmen.
Kann 2-schrittige Pläne ausführen.Hebt ein Auto auf und lässt es seine Rampe runterfahren; holt einen Topf aus dem Schrank und schlägt mit dem Löffel darauf.
Kann wo hinschauen und gleichzeitig etwas an einem anderen Ort ausführen.Kind streckt seinen Arm nach etwas aus und schaut auf den Tisch.
7-9 Monate
Ein Kind erinnert sich, wenn ein Gegenstand versteckt wurde, dass er immer noch am gleichen Ort ist (sog. Objektpermanenz).Der Bruder versteckt das Kuscheltier unter einem Kissen, das Kind weiß, dass das Kuscheltier dort liegt und findet es wieder.
Kann zwei Aktionen in einer Sequenz
ausführen.
Kind hebt das Tuch hoch und greift nach dem dort liegenden Spielzeug.

Weiter geht’s mit dem nächsten großen Bereich der Selbstkontrolle. Definitiv mein schwächster Bereich… das Schokoeis ist schon wieder leer…

SelbstkontrolleBeispiele
Erwachsener
Verfügt über eine stetige Selbstkontrolle.Verkneifen sich das Fluchen, nachdem etwas runtergefallen ist.
Reagiert auf eine Situation angemessen.Schupsen nicht zurück, nachdem sie angerempelt wurden.
10-18 Jahre
Es kann flexibel zwischen dem Fokus auf eine Handlung und peripheren Stimuli unterschieden werden, es kann abgeschätzt werden, welchen Dingen Aufmerksamkeit geschenkt werden muss und welchen nicht.Beim Fahrradfahren muss man sich auf die Straße/den Weg konzentrieren, dabei muss man auf andere Verkehrsteilnehmer achten, nicht aber auf die Gärten der Häuser, an denen man vorbeiradelt.
7 Jahre
Kinder können schon wie Erwachsene irrelevante Stimuli ausblenden und sich auf das Wesentliche konzentrieren.Beim Bilderbuchanschauen konzentriert sich das Kind auf das Bild in der Mitte der Seite und nicht auf den Schokoladenfleck am Seitenrand.
4-5 Jahre
Die Kinder beharren weniger auf eine Regel, wenn sie merken, dass sich die Umstände oder Regel geändert haben.Kinder akzeptieren, dass keine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen wird, weil es nach Opas Geburtstag spät geworden ist und alle schnell ins Bett müssen.
Können abwarten, bevor sie etwas Leckeres aufessen.Sie bekommen ein Gummibärchen und können abwarten, bis sie es nach dem Abendessen essen können.
Können sich eine beliebige Regel merken und sie einhalten, auch wenn sie der erwarteten Regel oder Handlung widerspricht.Sie sortieren bunte Karten nach Form anstatt nach Farbe.
9-11 Monate
Sie greifen nicht direkt nach einer sichtbaren, aber nicht erreichbaren Belohnung, sondern schätzen die Situation ab und finden einen alternativen Weg, an das Objekt zu gelangen.Sie krabbeln über ein Kissen, um an die Rassel heranzukommen.
8-10 Monate
Die Kinder bleiben fokussiert auf eine Sache, auch wenn eine Handlung sich verzögert und sie währenddessen anderen Ablenkungen ausgesetzt sind.Die Kinder möchten ein Stück Banane, der Vater schält die Banane, wird durch das Klingeln an der Tür unterbrochen. Während das Kind wartet, kommt die Katze in die Küche, als der Vater zurückkommt, richtet das Kind seine Aufmerksamkeit wieder auf die Banane und fordern ein Stück ein.
6 Monate
Kinder sind rudimentär in der Lage ihre Reaktion oder Aktion zurückzuhalten, wenn sie darum gebeten werden.Die Oma bittet das Kind, die heiße Heizung nicht anzufassen, das Kind folgt der Aufforderung.
Kognitive FlexibilitätBeispiele
Erwachsene
Sind in der Lage Handlungen und Pläne abzuändern, wenn sich die Umstände ändern.Man wollte in den Zoo, jetzt regnet es, also gehen sie lieber ins Museum; der Schraubenzieher war zu klein, darum holen wir einen größeren, um das Regal zusammenzubauen.
13-18 Jahre
Junge Erwachsene werden besser, wenn es darum geht den Fokus zu verschieben oder sich neuen Regeln anzupassen.Die Taktik beim Handballtournier wird an die jeweilige Mannschaft angepasst, wer in welcher Position spielt, wer welchen Mann deckt oder wer in den Angriff geht.
10-12 Jahre
Kinder können ihr Verhalten abhängig der Situation anpassen, Regeln anpassen.Auf dem Fußballplatz kann man schreien, nicht im Klassenzimmer oder in der Theateraufführung.
2-5 Jahre
Kinder können ihr Handeln je nach Situation besser anpassen.Zu Hause ziehen wir die Straßenschuhe aus, im Kindergarten ziehen wir Hausschuhe an, bei Regen tragen wir Gummistiefel, im Sommer Sandalen.
9-11 Monate
Kindern lernen, verschiedene Methoden zu nutzen, um an Objekte zu gelangen, die nicht in ihrem unmittelbaren Blickfeld sind.Erkunden verschiedener Wege, die Küchenschränke zu öffnen und an Pfannen zu gelangen.

Ein wichtiger Hinweis: Kinder entwickeln sich alle unterschiedlich. Diese Altersangaben geben nur eine Richtlinie, wann die Fähigkeiten zu erwarten sind. Solltet ihr euch aber Sorgen über die Entwicklung eures Kindes machen, dann sucht euch Rat und Unterstützung. Sprecht z.B. mit dem Kinderarzt, wendet euch an ein Sozialpädiatrisches Zentrum und tauscht euch mit anderen Müttern aus, sprecht mit den Erziehern/Lehrern eurer Kinder.

Und ganz ehrlich, bei den Beispielen, gerade bei den Erwachsenen, habe ich so meine Zweifel, dass wir jemals unsere exekutiven Funktionen vollständig ausbilden 😊. Oder wer kann sich jedes Mal das „Verdammte Sch…“ verkneifen?

Wenn ihr noch wissen wollt, wie ihr euren Kindern helfen könnt, exekutive Funktionen aufzubauen, dann lest hier weiter.

Alles Gute

Eure Blanca

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